Rechtliche Rahmenbedingungen
Behinderungsbegriff
Wann gilt jemand überhaupt als Mensch mit Behinderung?
Das Sozialgesetzbuch definiert den Behinderungsbegriff: "Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können."
Behinderungsgrad
Wie schwerwiegend eine Behinderung ist, wird durch den Grad der Behinderung (GdB) ausgedrückt. Das in der Regel zuständige Versorgungsamt stellt den Behinderungsgrad in Zehnerschritten von 20 bis 100 fest.
- Menschen mit Behinderung: Das sind Menschen, denen vom Versorgungsamt ein Grad der Behinderung von mindestens 20 und weniger als 50 bestätigt wurde. Sie haben darüber eine schriftliche Bestätigung vom Versorgungsamt.
- Formal gleichgestellte Personen: Menschen ohne Schwerbehinderung können Menschen mit Schwerbehinderung gleichgestellt werden, wenn sie einen GdB zwischen 30 und 50 haben und es Ihnen dadurch auf dem Arbeitsmarkt erheblich erschwert wird einen Arbeitsplatz zu finden oder zu halten (§ 151 SGB IX). Formal Gleichgestellte haben keinen Ausweis, aber eine Bescheinigung der Arbeitsagentur und eine schriftliche Bestätigung des Versorgungsamts.
- Menschen mit Schwerbehinderung: Wer einen GdB von 50 oder höher hat, gilt als schwerbehindert (SGB IX). Eine Schwerbehinderung wird in einem speziellen Ausweis festgehalten.
Mitteilungspflicht: Gibt es eine Pflicht zur Mitteilung einer Behinderung?
Eine Behinderung müssen Angestellte ihren Arbeitgebern nur dann mitteilen, wenn sie aufgrund der daraus resultierenden Herausforderungen ihre bisherige Arbeit nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr wahrnehmen können. Aber: Arbeitgeber müssen Menschen mit Schwerbehinderung und formal Gleichgestellten nur dann Nachteilsausgleiche gewähren, wenn ein Nachweis über den Grad der Behinderung vorliegt.
Ausgleichsabgabe oder umgangssprachlich Schwerbehindertenabgabe – was ist das?
Beschäftigt Ihr Betrieb Personen auf 20 oder mehr Arbeitsplätzen mit wöchentlich mindestens 18 Arbeitsstunden? Dann sind Sie dazu verpflichtet, fünf Prozent dieser Stellen mit schwerbehinderten Menschen zu besetzen (§ 154 in Verbindung mit § 156 SGB IX). Das gilt auch dann, wenn es in Ihrer Betriebsstruktur nicht möglich ist, Menschen mit Behinderung einzustellen. Erfüllen Sie die Quote nicht, müssen Sie eine sogenannte Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zahlen. Das Geld, das hier zusammenkommt, wird ausschließlich für die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben eingesetzt.
Wie hoch die Ausgleichsabgabe ist, die Sie bei einer Nichtbeschäftigung von Menschen mit Behinderung zahlen müssen, hängt im Wesentlichen von Ihrer Zahl von Mitarbeitenden ab. Es gibt auch andere Einflussfaktoren, zum Beispiel, ob Sie Aufträge an Werkstätten für Menschen mit Behinderung erteilen. Auszubildende mit einer Schwerbehinderung werden zudem gleich auf zwei Pflichtarbeitsplätze zur Bemessung der Ausgleichsabgabe angerechnet. Bei besonderen Herausforderungen kann mit Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit auch ein Beschäftigter bzw. eine Beschäftigte mit Schwerbehinderung mehrfach angerechnet werden.
Mit dem kostenfrei nutzbaren IW-Elan Rechner können Sie die Ausgleichsabgabe individuell für Ihr Unternehmen errechnen: www.iw-elan.de. Eine informative und hilfreiche Gesamtübersicht zum Thema "Ausgleichsabgabe" finden Sie unter www.rehadat-ausgleichsabgabe.de.
Nachteilsausgleich
Wenn Sie Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigen, müssen Sie einige zusätzliche arbeitsrechtliche Regeln beachten. Bis auf den Anspruch auf zusätzlichen Urlaub gelten diese Bestimmungen auch für formal gleichgestellte Personen. Folgendes sollten Sie beachten:
1. Anspruch auf Zusatzurlaub
Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wie auch Auszubildende, haben Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub von einer Arbeitswoche. Die genaue Höhe des Zusatzurlaubs ist dabei abhängig von der regelmäßigen Arbeitszeit pro Woche.
Beispiel: Wenn Sie Angestellte mit Schwerbehinderung beschäftigen, die fünf Tage die Woche arbeiten, haben diese einen Anspruch auf fünf Tage Zusatzurlaub. Arbeiten sie pro Woche nur drei Tage, reduziert sich der Anspruch dementsprechend auf drei Tage Zusatzurlaub. Vergütet wird der Zusatzurlaub gemäß der täglichen Arbeitszeit.
Der Anspruch auf Zusatzurlaub gilt nur für schwerbehinderte Beschäftigte, nicht für Beschäftigte mit Behinderung oder gleichgestellte Beschäftigte mit einem Grad der Behinderung unter 50.
2. Arbeitszeit
Menschen mit Schwerbehinderung und ihnen Gleichgestellte können arbeitsrechtlich nicht verpflichtet werden, mehr als acht Stunden täglich zu arbeiten. Dies gilt sowohl für Beschäftigte als auch für Auszubildende. Auf ihr Verlangen sind sie von betrieblicher Mehrarbeit zu befreien. Sie dürfen aber auf eigenen Antrieb hin im Rahmen der gesetzlichen Regelungen Mehrarbeit leisten – wie andere Kolleginnen und Kollegen auch.
3. Benachteiligungsverbot und Förderung des beruflichen Fortkommens
Niemand darf wegen einer Behinderung benachteiligt werden – das gilt auch am Arbeitsplatz. Wenn Sie im Betrieb eine Weiterbildung anbieten, haben Schwerbehinderte und ihnen Gleichgestellte einen Anspruch auf bevorzugte Berücksichtigung. Das gilt auch für außerbetriebliche Weiterbildungen, die im Rahmen der Tätigkeit stattfinden.
4. Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens
Es kann vorkommen, dass bei der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung Schwierigkeiten auftreten, die den Arbeitsplatz gefährden. In solchen Fällen sind Betriebe dazu verpflichtet, ein sogenanntes Präventionsverfahren durchzuführen (SGB IX § 167 Absatz 1).
Im Präventionsverfahren suchen der Betrieb, die betriebliche Arbeitnehmervertretung (Schwerbehindertenvertretung, Betriebs- oder Personalrat sofern vorhanden) und das Integrationsamt gemeinsam nach Lösungen für diese Schwierigkeiten. Ziel ist es, dass der oder die Betroffene möglichst dauerhaft im Arbeitsverhältnis bleiben kann. Damit das gelingt, können beispielsweise Beratungs- und Förderleistungen in Anspruch genommen werden. Welche genau das sind, wird im Einzelfall geklärt. Mehr Informationen finden Sie im Onlinetext Wiedereingliederung nach Krankheit.
5. Inklusionsbeauftragte bestellen
Beschäftigen Sie einen Menschen mit Schwerbehinderung oder einen diesen gleichgestellten Menschen? Dann müssen Sie mindestens einen, bei Bedarf auch mehrere sogenannte Inklusionsbeauftragte ernennen. Der oder die Inklusionsbeauftragte vertritt die Arbeitgeberseite in Angelegenheiten schwerbehinderter Beschäftigter. Er oder sie darf nicht Teil der Schwerbehindertenvertretung des Unternehmens sein und hat im Idealfall auch eine Behinderung.
Direkt nach der Benennung melden Sie den oder die Inklusionsbeauftragte der zuständigen Agentur für Arbeit und dem Integrationsamt (Anzeigepflicht nach § 163 Absatz 8 SGB IX). Die Inklusionsbeauftragten haben folgende Aufgaben:
- Sie sind für Beschäftigte mit Schwerbehinderung sowie für Gleichgestellte die arbeitgeberseitigen Ansprechpartner.
- Sie kooperieren betriebsintern mit Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung, sofern vorhanden.
- Sie kooperieren nach extern mit dem zuständigen Integrationsamt und der Agentur für Arbeit.
- Falls es zu Konflikten kommt, werden sie als Schlichter aktiv und bemühen sich um einen Interessensausgleich aller Beteiligten.
6. Schwerbehindertenvertretung wählen
Wenn Sie in Ihrem Unternehmen mindestens fünf schwerbehinderte und/oder gleichgestellte Menschen insgesamt länger als sechs Monate beschäftigten, muss eine Schwerbehindertenvertretung gewählt werden (§ 177 SGB IX).
Eine Schwerbehindertenvertretung wird in der Regel für vier Jahre gewählt. Sie besteht aus einer Vertrauensperson und mindestens einer Vertretung. Für die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung gilt die gleiche rechtliche Stellung wie für Mitglieder des Betriebs- oder Personalrates (Kündigungs-, Versetzungsschutz etc.). Eine vollständige Freistellung der Vertrauensperson ist ab einem Wert von 100 Mitarbeitenden mit Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung verpflichtend. Unter diesem Wert empfiehlt sich eine Teilfreistellung der Vertrauensperson für die Erfüllung der Aufgaben.
Die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung lauten: Die Schwerbehindertenvertretung vertritt die Interessen der Beschäftigten mit Schwerbehinderung und der ihnen gleichgestellten Menschen. Sie fördert deren Eingliederung in den Betrieb. Bei allen Angelegenheiten, die mindestens eine Person mit Schwerbehinderung betreffen, muss die Schwerbehindertenvertretung unverzüglich und umfassend unterrichtet und vor einer Entscheidung angehört werden. Das gilt beispielsweise bei der Einstellung, Versetzung und der Kündigung von Mitarbeitenden mit Behinderung.
7. Zustimmung zur Kündigung
Für Auszubildende und Beschäftigte mit Schwerbehinderung oder Beschäftigte, die ihnen gleichgestellt sind, gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Einer Kündigung muss das zuständige Integrationsamt zustimmen. Dies gilt sowohl für ordentliche als auch außerordentliche Kündigungen. Bei der Begutachtung des Falles überprüft das Integrationsamt, ob die beabsichtigte Kündigung im direkten Zusammenhang mit der Behinderung steht und spricht dazu mit der Schwerbehindertenvertretung, dem Betriebsrat und dem oder der Betroffenen. Ist dies der Fall, werden alle Möglichkeiten geprüft, um mögliche Herausforderungen, die durch die Behinderung verursacht werden, zu lösen. Das Integrationsamt wägt dabei die Interessen beider Parteien ab und wirkt darauf hin, dass es zu einer möglichst konfliktfreien Einigung kommt.
Ausnahmen: In den ersten sechs Monaten der Beschäftigung, bzw. innerhalb der Probezeit einer Ausbildung, oder wenn die Eigenschaft der Schwerbehinderung noch nicht festgestellt sind, gilt der besondere Kündigungsschutz nicht.
8. Renteneintritt
Menschen mit Schwerbehinderung, die 1964 oder später geboren wurden, können nach Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren Altersrente für schwerbehinderte Menschen beanspruchen, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet haben. Damit können sie zwei Jahre früher in Rente gehen als Menschen ohne Behinderung. Auch ist es ihnen – wie bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ohne Behinderung – freigestellt, die Altersrente vorzeitig mit einem Rentenabschlag in Anspruch zu nehmen. Dies ist bei Menschen mit Schwerbehinderung mit 62 Jahren möglich. Diese Altersgrenze steigt allerdings schrittweise. Detailliert ist das im VI. Sozialgesetzbuch in § 236 a geregelt.
9. Ausbildung
Auszubildende mit und ohne Behinderung unterscheiden sich in einigen Punkten bei regulären Beschäftigten. Bei Auszubildenden mit Behinderung kommen die zusätzlichen Punkte hinzu:
- Auszubildende sowie Beschäftigte mit Behinderung haben Zugang zu verschiedenen Fördermöglichkeiten am Arbeitsplatz. Eine Übersicht zu diesen Möglichkeiten finden Sie hier. Darüber hinaus kann die Ausbildung individuell gestaltet werden, um den Bedürfnissen der Beteiligten besser zu entsprechen. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit einer Teilzeitausbildung. Hierbei können sowohl die tägliche als auch die wöchentliche Arbeitszeit flexibel angepasst werden.
- Für eine Teilzeitausbildung ist ein gemeinsamer Antrag von Ausbildungsbetrieb und Auszubildendem bei der zuständigen Kammer erforderlich. In manchen Fällen kann zusätzlich ein ärztliches Attest verlangt werden.
- Auszubildende mit Behinderung können Nachteilsausgleiche (wie z.B. eine Zeitverlängerung, den Einsatz technischer Hilfsmittel oder barrierefreie Prüfungsräume) für eine Prüfung bei der zuständigen Kammer beantragen. Hierzu bedarf es einem Antrag vor Anmeldung zur jeweiligen Prüfung bei der zuständigen Kammer. Dieser Antrag muss in der Regel ein aktuelles ärztliches Attest mit einer Begründung enthalten. Einheitliche Standards, wie diese Nachweise gestaltet sein sollten, fehlen jedoch häufig, was den Prozess für die Antragstellenden erschwert. Eine frühzeitige Beratung durch die Kammer wird daher empfohlen, um den individuell passenden Nachteilsausgleich zu finden und den Prozess zu beschleunigen. Mehr zum Thema Nachteilsausgleich, finden Sie in einer Publikation des Bundesinstituts für Berufsbildung.
- Nach erfolgreichem Ende einer Ausbildung muss ein Mensch mit anerkannter Schwerbehinderung vom Ausbildungsunternehmen nicht automatisch in eine Beschäftigung übernommen werden. Eine Ausnahme kann in einzelnen Branchen für tarifgebundene Unternehmen bestehen.