Erfolgsfaktoren für Integration
In der Lehrwerkstatt des Schraubenherstellers Altenloh, Brinck & Co GmbH (ABC) hängen Bilder der Ausbildungsabsolventen seit 1963 – so lange gibt es die Lehrwerkstatt schon. 1977 ist das Bild von Hans-Jürgen Barth zu sehen, jetzt Ausbildungsleiter bei ABC. Und heute hängt da das Bild von Aboubakar Fofana, der – wie ca. 746.000 Menschen – 2016 als Flüchtling nach Deutschland kam. Aboubakar Fofana aus Guinea hat unter der Leitung von Barth seine Ausbildung als Maschinen- und Anlagenführer abgeschlossen. Heute arbeitet er als Fachkraft im Unternehmen, ist mit einer gebürtigen Nordrhein-Westfälin verheiratet und erwartet sein zweites Kind.
Altenloh, Brinck & Co zieht Bilanz seines Flüchtlingsprojekts
2017 war KOFA schon einmal zu Besuch in der Lehrwerkstatt. Damals stand Fofana an einer der Werkbänke, bearbeitete unsicher ein Metallmännchen mit einer Feile. „Ich hatte aus meinem Heimatland überhaupt keine Erfahrung in der Metallverarbeitung“, gesteht er. „Ziel unseres Projektes war es ja gerade, die Eignung der Geflüchteten für eine Tätigkeit in der Metall- und Elektroindustrie zu prüfen“, sagt Barth. „Wir waren der Meinung, dass die Integration dieser Männer in Ausbildung und Arbeit nur gelingen kann, wenn wir berufsbezogene Fachkenntnisse und Sprache gemeinsam vermitteln. Und deshalb waren uns Kooperationen so wichtig.“ Barth und sein Team schulten während des mehrmonatigen Projekts die Flüchtlinge in der Lehrwerkstatt in einem Vorbereitungskurs Metall-Lehre. Die VHS Ennepe-Ruhr büffelte mit den Teilnehmenden parallel Fachbegriffe der deutschen Arbeitswelt. Der Märkische Arbeitgeberverband unterstützte bei Fragen zum Aufenthaltsstatus und vermittelte die Männer aus Syrien, Afghanistan oder Guinea in Praktika in andere Betriebe.
Es war ein erfolgreiches Projekt. Erst kürzlich wurde Hans-Jürgen Barth von der Universität zu Köln eingeladen, um als Vertreter eines „Best-Practice“ Rede und Antwort zu stehen. Und im Hinblick auf die Ankommenden aus der Ukraine stellt sich in Politik und Wirtschaft erneut die Frage, wie Menschen mit Fluchtgeschichte in Deutschland Fuß fassen können. Barth und Fofana haben dem KOFA verraten, was Integration aus ihrer ganz persönlichen Erfahrung erfolgreich macht.
Erfolgsfaktor 1: Ehrenamtliches Engagement
„Als ich nach Deutschland kam, war ich überwältigt von der Hilfsbereitschaft“, erzählt Fofana. Die Menschen damals hätten Kleidung und Kinderspielzeug in seine Flüchtlingsunterkunft gebracht. „Es waren immer Freiwillige vor Ort. Einige sind mit den Kindern auf den Spielplatz gegangen. Andere haben bei Anträgen für die Behörden geholfen. Es hat mich an meine Heimat erinnert. Man hat kein Geld. Aber die Menschen helfen sich gegenseitig. Es war ein warmes Gefühl“.
Auch im Integrationsprojekt bei ABC setzte man auf ehrenamtliche Unterstützung. Zwei ehemalige Ausbilder in Rente wurden aktiviert, um die Geflüchteten in der Ausbildungswerkstatt anzuleiten. So mussten die Flüchtlinge sich ihre Aufmerksamkeit nicht mit den regulären Auszubildenden des Betriebs teilen. „Es hatten alle Seiten etwas davon“, erklärt Barth. „Für unsere Ausbilder in Rente war es schön, wieder gebraucht zu werden. Für die Projektteilnehmer war es wichtig, feste Ansprechpartner zu haben. Und für uns als Unternehmen war es eine riesige Entlastung. Man kann nicht die regulären Auszubildenden betreuen und sich gleichzeitig um 15 Männer kümmern, die die Grundfertigkeiten erlernen müssen. Das überfordert alle. Ohne ehrenamtliche Unterstützung hätte das Projekt nicht funktioniert.“
Fofana bestätigt die zentrale Rolle der Ehrenamtler. Auch in seiner Ausbildungszeit und bei der Prüfungsvorbereitung habe ihm einer der Rentner weiter Nachhilfeunterricht gegeben. „Die Berufsschule war aufgrund der Sprachschwierigkeiten wirklich hart für mich. Ohne Unterstützung hätte ich das wahrscheinlich gar nicht geschafft.“
Erfolgsfaktor 2: Eigenverantwortung und klare Regeln
Fofana war auch so erfolgreich, weil er selbstständig um Unterstützung gebeten hat, davon ist Barth überzeugt. „Andere trauen sich nicht, um Hilfe zu fragen“, sagt er. „Es ist aber als Unternehmen ganz wichtig zu signalisieren: Fragt uns! Erklärt uns, was ihr braucht oder nicht versteht. Nur so kann man gezielt unterstützen.“
Gerade die ersten Wochen während des Flüchtlingsprojekts in der Lehrwerkstatt seien für viele Teilnehmer eine harte Umstellung gewesen. Um 7 Uhr morgens begann der Vorbereitungskurs. „Ich musste damals um 5 Uhr aufstehen, um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln pünktlich in der Lehrwerkstatt zu sein“, erzählt Fofana. Nicht allen ist das so gelungen. „Wir haben die Projektteilnehmer dann tatsächlich ,stempeln’ lassen, weil uns wichtig war, dass sie auch verstehen, wie unsere Regeln im Unternehmen sind. Und da funktionieren Schichtübergaben eben nicht, wenn einer erst zwanzig Minuten später auf der Matte steht“, erklärt Barth. Er denkt: Klare Regeln sind für eine erfolgreiche Integration wichtiger als falsche Nachsicht.
Erfolgsfaktor 3: Sprache, Sprache, Sprache
Ein vertiefender Sprachkurs war von Anfang an Teil des Integrationsprojekts. Gleichzeitig haben auch die Verantwortlichen in der Lehrwerkstatt schnell gemerkt, dass im Metallhandwerk ein ganz eigener Wortschatz gilt: Werkzeuge, Verfahrenstechniken, Materialien – ohne die Kenntnis der präzisen Begrifflichkeiten kommt es schnell zu Missverständnissen, aber auch echten Fehlern. Eigens für die Projektteilnehmer fertigten sie deshalb ein Bildlexikon an: links ein Foto, rechts das deutsche Wort.
„Sprache ist der Schlüssel für erfolgreiche berufliche Integration“, sagt Barth. „Unternehmen und Berufsschule können hier durch Nachhilfe unterstützen. Und trotzdem lohnt es sich, auch weitere Unterstützungsmöglichkeiten wie ehrenamtliche pensionierte Lehrer einzubeziehen.“ (Mehr Informationen zu Sprachförderung im Unternehmen)
Erfolgsfaktor 4: Genug Zeit und geschützte Räume
Fofana hat bereits im Vorbereitungskurs gezeigt, wie sehr er sich eine Ausbildung wünscht. Seine hohe Motivation war einer der Gründe, dass ABC gerade ihn in die reguläre Ausbildung übernommen hat. Und trotzdem gab es eine Zeit, in der Fofana daran zweifelte, ob er seine Ausbildung wirklich schaffen würde. In der Berufsschule hangelte er sich mit viel Fleiß von Prüfung zu Prüfung. Aber bei den ersten Einsätzen in den Produktionshallen des Schraubenherstellers machte er Fehler und eckte bei den Kollegen an. „Ich bin mit Bauchschmerzen aufgewacht und hatte bei Schichtbeginn immer Angst. Ich habe gedacht: Jetzt werde ich wieder ins Büro des Meisters gerufen und bekomme Ärger, weil ich gestern was falsch gemacht habe.“
„Wenn Auszubildende erstmals in der Produktion richtig mitarbeiten, ist das häufig eine große Umstellung für sie“, erklärt Barth. „Das gilt auch für die deutschen Jugendlichen, die ja bis dahin nur den Schulalltag kennen.“ Meister und Kollegen in der Produktion hätten weniger Zeit, den Auszubildenden etwas zu erklären. Kämen dann, wie bei Fofana, noch Sprachschwierigkeiten hinzu, schaukelten Konflikte sich schnell hoch. Er kam damals häufig zu Barth und suchte Rat. „Ich habe ihm Mut gemacht und ihn darin bestärkt, dass er auf dem richtigen Weg ist“, sagt Barth.
Geholfen hat Fofana damals auch der geschützte Ort der Ausbildungswerkstattt. „In einer Ausbildungswerkstatt können wir den Auszubildenden einfach nochmal Grundfertigkeiten zeigen und uns gezielter um sie kümmern als das im Produktionsalltag möglich ist“, sagt Barth. „Ich bedaure sehr, dass so viele Lehrwerkstätten geschlossen werden. Gerade für Menschen, die mehr Unterstützung brauchen, sind solche Orte überaus wertvoll.“
Erfolgsfaktor 5: Nichts integriert besser als Freundschaft und Liebe
Es gab mindestens noch einen zweiten Menschen, der Fofana in der schwierigen Phase seiner Ausbildung geholfen hat. Ein Kollege in der Produktion hat erkannt, unter welchem Druck der damals 21jährige während seiner Ausbildung stand. Er hat ihn verteidigt, wenn es Schwierigkeiten gab. Und er hat sich manchmal Zeit genommen, Arbeitsabläufe oder das Verhalten der Kollegen zu erklären. „Es hat mich unfassbar beruhigt, in der Produktion plötzlich jemand an meiner Seite zu haben“, sagt Fofana.
Freundschaften kann man nicht planen. Aber Unternehmen können eine Kultur der Wertschätzung und Toleranz fördern – und sie können Raum für informelle Begegnung schaffen. Doch die größte integrative Macht besitzt ohne Zweifel die Liebe. „In Kürze erwarten meine Frau und ich unser zweites Kind“, erzählt Fofana und strahlt. Seine Ausbildung hat er erfolgreich abgeschlossen. Bei ABC hat er einen festen Arbeitsvertrag. Die Schichtarbeit in der Produktion ermöglicht es ihm, viele Stunden am Tag mit seiner Familie zu verbringen. „Für mich ist in Deutschland alles gut ausgegangen.“