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Traumatisierte Flüchtlinge

Traumatisierte Flüchtlinge

„Arbeit kann von der Vergangenheit ablenken, eine äußere Struktur und inneren Halt geben“, sagen Maria Akritidou und Massimo Marcone vom Therapiezentrum für Folteropfer der Caritas. Genau deshalb seien stabile Arbeitsverhältnisse für Geflüchtete mit traumatischen Erfahrungen so wichtig. Im KOFA-Interview erklären sie, wie Unternehmen traumatisierte Mitarbeiter unterstützen können.

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Was versteht man unter einem Trauma?

Akritidou: Das Wort „Trauma“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet übersetzt „Wunde“. In der Medizin bezeichnet es eine Verletzung durch Gewalteinwirkung.

Laut ICD-10 (Anmerkung der Redaktion: Internationale Klassifikation der Krankheiten-Herausgegeben von der Weltgesundheitsorganisation WHO) versteht man darunter: „…ein Ereignis, das einhergeht mit außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophenartigem Ausmaß, das bei fast jedem eine tiefe Verzweiflung hervorrufen würde.“

Gelingt es nicht, in der traumatischen Reaktionsphase die Verarbeitung abzuschließen und in die Erholungsphase einzutreten, also die Geschehnisse in das eigene Welt- und Selbstbild zu integrieren, wirkt die traumatische Erfahrung fort. Nach der Lehre des Psychotherapeuten und Psychoanalytiker Gottfried Fischer bilden sich Trauma-Folgestörungen. Viele der Flüchtlinge haben Dinge erlebt, die so schlimm sind, dass sie wohl jeden von uns traumatisieren würden.

Woran erkennt man, ob ein Mitarbeiter traumatisiert ist?

Akritidou: Das ist nicht einfach, da sich traumatisierte Menschen in der Regel nur gegenüber wenigen Vertrauten öffnen und über ihr Trauma sprechen. Es gibt aber einige Symptome, die auf ein Trauma hinweisen.

An welchen Symptomen erkenne ich ein Traumata?

Akritidou: Die drei wichtigsten sind laut ICD-10 das Wiedererleben, die Vermeidung und die Übererregung.

Unter Wiedererleben können Sie sich sogenannte „Flashbacks“ vorstellen, also Rückversetzungen in die traumatische Situation. Das kann durch einen Schlüsselreiz wie einen Geruch, ein Bild oder eine Farbe ausgelöst werden. Der Betroffene befindet sich dann geistig wieder in der Situation, die das Trauma ausgelöst hat. Er ist nur noch körperlich im Hier und Jetzt. Das merken Sie an verzögerten Antworten, geistiger Abwesenheit oder Augenflimmern.

Vermeidung äußert sich dadurch, dass die Person Situationen meidet, die ihn an die traumatische Situation erinnern könnte.
Und Überregung tritt bei Betroffenen durch Reizbarkeit, Neigung zu Wutausbrüchen oder Schlafstörungen auf.
Auch Kopfschmerzen, Muskelverspannungen und Konzentrationsstörungen können Symptome sein. Manche Betroffene zeigen außerdem Verhaltensauffälligkeiten, weil sie legale oder illegale Substanzen nehmen, um die Symptome zu lindern. Sie nehmen zum Beispiel übermäßig viele Schlaftabletten oder trinken viel Alkohol.

Wenn einer meiner Mitarbeiter solche Symptome zeigt, wie kann ich ihm am besten helfen?

Marcone: Sie sollten auf keinen Fall versuchen, selbst psychologische Ratschläge zu erteilen, sondern diskret auf professionelle Hilfe verweisen.

Generell ist es für den Erfolg von Integration unbedingt zu empfehlen, dass Geflüchtete innerhalb eines Betriebes eine Vertrauensperson an ihrer Seite haben.
Im Fall von traumatischen Symptomen können sich Geflüchtete dann auch an die Vertrauensperson wenden, die dann Kontakte vermittelt. Es gibt eine Menge Angebote, die Flüchtlingen bei der Bewältigung von Traumata helfen. Wichtig ist, nicht den einzelnen Mitarbeiter auf sein Trauma anzusprechen, sondern grundsätzlich für alle Mitarbeiter die Hilfsangebote bereit zu stellen. Wenn Sie im Unternehmen für alle zugänglich Telefonnummern und Informationsmaterial zur Verfügung stellen, ermöglichen Sie den Betroffenen, Hilfe aufzusuchen.

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Was ist zu tun, wenn sich akut eine Krisensituation einstellt und ein Mitarbeiter offensichtlich ein „Flashback“ erleidet?

Akritidou: Geben Sie ihm zuerst Orientierung, Sicherheit und Beruhigung. Sprechen Sie ihn oder sie mit Namen an und sagen dann wie Sie heißen, welche Position Sie haben, wo Sie sich befinden, was für ein Tag und Jahr ist und so weiter. Das hilft, den Betroffenen wieder ins Hier und Jetzt zu holen.
Bringen Sie ein Glas Wasser und wenn es in der Umgebung sehr laut ist, gehen Sie in ein anderes, ruhigeres Zimmer. Und: Fassen Sie die Person nicht ungefragt an. Gerade ein Mensch, der ein Beziehungstrauma erlitten hat, zum Beispiel eine Vergewaltigung, möchte sicherlich nicht von Fremden angefasst werden. Fragen Sie: Ist es okay, wenn ich meinen Arm um Sie lege? Soll ich Ihre Hand halten? Um Ruhe auszustrahlen ist das manchmal hilfreich, aber Sie sollten unbedingt vorher fragen. Wichtig ist auch, dass Sie selbst ruhig bleiben. Und schicken Sie die Person in diesem Zustand nicht nach Hause. Wenn Sie merken, dass Ihre Bemühungen nicht fruchten, rufen Sie einen Krankenwagen.

Halten Sie es für sinnvoll, alle Mitarbeiter im Betrieb für das Auftreten von Traumata zu schulen?

Akritidou: Davon raten wir ab. Stellen Sie sich vor, eine Kollegin von Ihnen wäre vergewaltigt worden und in der Folge würden Sie alle Mitarbeiter schulen, wie man mit vergewaltigten Kolleginnen umgeht. Das würde die Betroffene sicherlich nicht wollen.
Sie brauchen eigentlich nicht auf Flüchtlinge zu warten, um ein Trauma zu sehen. Sie kennen traumatisierte Menschen. Sie haben Sie wahrscheinlich in Ihrer Familie, Ihrem Freundeskreis und an der Arbeit. Viel sinnvoller als so eine Schulung ist es daher, einen sensiblen Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen. Mit dem können Betroffene dann vertrauensvoll über das Geschehene reden, wenn sie möchten.

Wie gehe ich damit um, wenn mir ein Betroffener von seinen Erlebnissen erzählt?

Akritidou: Zeigen Sie Interesse, hören Sie zu, seien Sie frei von Erwartungen und Verurteilungen. Seien Sie auch voller Hoffnung, dass dieser Mensch wieder gesund werden kann. Mit genug Unterstützung geht das. Sagen Sie auf keinen Fall etwas wie „stell dich nicht so an“ und vergleichen Sie das Geschehene nicht mit eigenen Erlebnissen.

Als Zuhörer fühlt man sich häufig unwohl bei den Schilderungen einer traumatischen Situation. Sie sollten Ihre Gefühle ernst nehmen. Wenn Sie sich unwohl oder überfordert fühlen, sollten auch Sie sich nach diesem Erlebnis professionellen Rat einholen.

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Sind traumatisierte Mitarbeiter im Arbeitsleben normal belastbar?

Marcone: Das kann man natürlich nicht pauschal beantworten, grundsätzlich würde ich aber schon von einer normalen Belastbarkeit ausgehen. Menschen, die Schlimmes erlebt haben, wollen damit abschließen und sehen in einer Arbeitsstelle eine neue Chance. Ein strukturierter Alltag kann sehr hilfreich bei der Bewältigung eines traumatischen Erlebnisses sein. Die meisten Flüchtlinge wollen sich in Deutschland ein Leben aufbauen, da ist ein Arbeitsplatz sinnstiftend und gibt Hoffnung.

Uns ist von einem Beispiel berichtet worden, in dem ein Flüchtling immer wieder zu spät kam und als Entschuldigung lediglich eine WhatsApp-Nachricht geschickt hat... Wie geht man mit solchen Situationen um?

Akritidou: Also grundsätzlich ist Unpünktlichkeit kein Zeichen für Traumatisierung. Das kann zum Beispiel auch einfach daran liegen, dass in seiner Kultur Pünktlichkeit keine große Rolle spielt. Sie sollten dann nach Gründen fragen und ihn genauso behandeln wie zum Beispiel einen Azubi, der ständig zu spät ist.
Die meisten Traumatisierten wollen nicht besonders und sehr behutsam behandelt werden. Sie wollen wie normale Personen wahrgenommen werden. In traumatischen Situationen werden Menschen meist sehr unwürdig behandelt.
Wenn man sie vollständig ernst nimmt und wie jeden anderen behandelt, können sie irgendwann wieder normal und ohne Auffälligkeiten im Verhalten auftreten. Die Menschen, die es schaffen, ein Trauma zu überwinden, gehen auch meist gestärkt daraus hervor. Das nennt sich posttraumatisches Wachstum.

Wie genau sieht posttraumatisches Wachstum aus?

Akritidou: Wenn ein Mensch es schafft ein schlimmes Erlebnis in sein Selbst- und Weltbild zu integrieren, dann kann er oder sie gestärkt daraus hervor gehen. Das kann zu einer Intensivierung der Wertigkeit des Lebens, Intensivierung der persönlichen Beziehungen, einem stärkeren Bewusstsein für eigene Stärken, dem Entdecken von neuen Möglichkeiten im Leben und der Intensivierung des spirituellen Bewusstseins führen. Es bildet die Resilienz, also die psychische Widerstandskraft, aus. Die Fähigkeit, an Krisen zu wachsen, kann man lernen und muss man üben. Betroffene sind dann häufig optimistischer und humorvoller. Hier gilt das Zitat von Friedrich Nietzsche: „Was uns nicht umbringt, macht uns stärker.“

Hilfreiche Adressen und Ansprechpartner

Kontakt zu den Experten

Dipl.-Psych. Maria Akritidou
maria.akritidou@caritas-koeln.de

Dipl.-Soz. Massimo Marcone
massimo.marcone@caritas-koeln.de