Nachfolgeplanung: Was tun, wenn der Chef ausfällt?
Benjamin Hauber ist Moderator für Betriebsnachfolge bei der Handwerkskammer Ulm. Durchschnittlich einmal im Monat rückt er zur sogenannten Notfallhilfe aus. Die wird nötig, wenn sich die Führung eines Betriebs abrupt ändert – etwa die Chefin oder der Chef verunglückt, erkrankt oder ums Leben kommt. Umfragen belegen, dass 50 Prozent aller kleinen und mittleren Betriebe (KMU) keine Vorsorge für solche Notfälle getroffen haben.
Notfallhilfe der Handwerkskammer Ulm: Warum Vorsorge für Unternehmen wichtig ist
Benjamin Hauber wird dann gerufen, wenn die Verzweiflung am größten ist. Häufig von der Ehefrau oder dem Ehemann eines Unternehmensinhabers oder einer -inhaberin. Geschockt versuchen sie zu begreifen, dass ihre Partnerin oder ihr Partner im Koma liegt oder gestorben ist. Gleichzeitig tragen sie von jetzt auf gleich Verantwortung für einen Betrieb und die Mitarbeitenden.
„Für viele Unternehmerfamilien ist der eigene Betrieb ein bisschen wie ein Kind“, sagt Hauber. „Das Unternehmen ist ein Lebenswerk – das gilt es weiterzuführen, auch wenn der Geschäftsführer nicht mehr da ist. Insofern spüren die Angehörigen einen hohen Druck, die Stabilität des Unternehmens zu sichern.“
Fehlende Vorsorge kann fatale Folgen haben
Als Moderator für Betriebsnachfolge bei der Handwerkskammer Ulm rückt Benjamin Hauber etwa einmal im Monat zur Notfallhilfe aus. Umfragen belegen, dass 50 Prozent aller kleinen und mittleren Betriebe (KMU) keine Vorsorge für einen Notfall getroffen haben.
Tipp: Auch Sie haben keinen Notfallplan? Ändern Sie das – mithilfe des Notfallordners der Handwerkskammer Ulm.
„Dabei muss man leider sagen, dass es nicht immer nur die Alten trifft“, betont Hauber. Es gebe auch Fälle, in denen die betroffenen Geschäftsführerinnen oder Geschäftsführer zwischen 40 und 50 Jahre alt waren. „Ich versuche, in der Krisensituation Halt zu geben, indem ich sachlich und verlässlich berate“, sagt Hauber. „Aber kalt lassen mich die individuellen Schicksalsschläge auch nicht.“
Mit welchen Tücken Angehörige kämpfen, zeigt ein Beispielfall: Ein erfolgreicher Geschäftsführer war mit Ende 40 aus dem Leben gerissen worden. Die Verantwortung übernahm nun die Ehefrau: für drei minderjährige Kinder, für die vollen Auftragsbücher eines florierenden Metallbau-Unternehmens, für fast 15 Mitarbeitende. Sie selbst hatte bislang keinerlei Einblicke in die Geschäfte ihres Mannes.
Es gab keine Stellvertretungsregelungen und keine Vollmachten, zum Beispiel für Zahlungsangelegenheiten. Und es gab innerhalb des Unternehmens niemanden, den der Chef in die Betriebsgeheimnisse zur Produktion eingeweiht hatte. Selbst die laufenden Aufträge konnten die Mitarbeitenden nur unter größten Schwierigkeiten bewältigen. Durch den Tod des Chefs war eine Lücke entstanden, die nicht geschlossen werden konnte.
Viele Mitarbeitende spüren, wenn das Unternehmen ins Straucheln gerät. Und dann? Dann wandern sie womöglich ab. Weil sie Angst um die eigene Zukunft haben. Weil sie nicht daran glauben, dass es ohne den alten Chef oder die alte Chefin weitergeht. Im schlimmsten Fall muss der Betrieb schließen.
3 Tipps für die Notfall-Vorsorge im Unternehmen:
- Wichtiges verschriftlichen: Um für Notfälle gerüstet zu sein, sollten Unternehmensinhaberinnen und -inhaber alle wichtigen Informationen zur Betriebsführung verschriftlichen. Neben Vollmachten sollten sie zum Beispiel einen Vertretungsplan festlegen, eine Liste der wichtigsten Ansprechpersonen erstellen und Online-Zugänge festhalten.
- Notfallkoffer packen: Es empfiehlt sich, alle wichtigen Dokumente in sogenannte Notfallkoffer zu packen. Auch wichtige Schlüssel für den Betrieb sollten darin enthalten sein, sodass bei einem akuten Ausfall berechtigte Personen alles finden, was sie brauchen. Idealerweise gibt es zwei Notfallkoffer mit identischem Inhalt, die an unterschiedlichen Orten aufbewahrt werden.
- Rat suchen: Bei Fragen zur Betriebsnachfolge und Notfallvorsorge helfen die Handwerkskammern. In Ulm berät zum Beispiel Benjamin Hauber.
Durch Vorsorge das Schlimmste verhindern
„So muss es nicht laufen“, betont Hauber. Häufig genug gelingt es, das Unternehmen zu retten. Belegschaften, die es gewohnt sind, eigenverantwortlich zu handeln, wachsen manchmal geradezu über sich hinaus. Es gibt zum Beispiel Fälle, in denen die Großeltern-Generation aus dem Ruhestand zurückkehrt, um die Geschäfte kurzfristig wieder zu übernehmen – und dann ein geordnetes Übergabemanagement einzuleiten. Doch auch die Suche über die Betriebsbörse der Handwerkskammer bietet die Möglichkeit, geeignete Nachfolgerinnen und Nachfolger zu finden. In dieser Börse können Unternehmen inserieren, wenn sie eine neue Führung suchen. Umgekehrt können auch Menschen Gesuche schalten, wenn sie den Schritt in die Selbstständigkeit gehen möchten.
Im Idealfall sollte man eine Nachfolge aber langfristig vorbereiten. So wird man auch in Notfällen nicht überrascht. „Im Normalfall raten wir dazu, sich drei bis fünf Jahre Zeit für eine Betriebsübergabe zu nehmen“, sagt Hauber. „Nach einem Todesfall sind die Chancen auf eine Weiterführung des Betriebs einfach am größten, wenn Vorsorge getroffen wurde.“
Besonders wichtig: Die Verantwortlichen in den Unternehmen sollten einen Vertretungsplan erstellen. Wer darf Entscheidungen treffen, wenn man es selbst nicht kann? Gibt es eine Vertretung, die etwa mit Lieferantinnen und Lieferanten, Kundinnen und Kunden oder Mitarbeitenden sprechen kann? Wichtig ist, die geplante Notfall-Aufgabenverteilung vorab mit den betroffenen Personen zu besprechen.
Zudem sollte eine Liste erstellt werden mit Personen und Institutionen, die bei einem langfristigen Ausfall der Leitung informiert werden müssen. Dazu zählen zum Beispiel die Handwerkskammer, Versicherungen und Banken. Entsprechende Handlungs- und Vorsorgevollmachten gilt es in Absprache mit Notarin oder Notar aufzusetzen.
Vorkehrungen für digitalen Raum treffen
Hauber empfiehlt, alle wichtigen Dokumente in Notfallkoffern aufzubewahren – aus Sicherheitsgründen in zweifacher Ausfertigung an unterschiedlichen Orten. Auch alle wichtigen Schlüssel sollten enthalten sein und eine Liste, welche Mitarbeitenden über welche Schlüssel verfügen. „Der Inhaber weiß, wer zum Beispiel morgens kommt und aufschließt. Fällt er aus, müssen sich die Angehörigen solches Wissen aber oft erst mühsam erschließen“, sagt Hauber.
Auch digitale Zugänge müssen mitgedacht werden. So sollte es etwa eine Liste der Online-Banking-Passwörter und Online-Kundenverzeichnisse geben. Bei fast allen Fragen können sich Unternehmen bei den Handwerkskammern Hilfe holen. In Ulm bietet Benjamin Hauber Beratungsgespräche und Vorträge zum Thema Notfallvorsorge an. Zu Versicherungsfragen darf Hauber nicht beraten. „Wir empfehlen, einen engen Kontakt zum jeweiligen Versicherungsvermittler aufzubauen“, sagt er.
Auch mit einem Steuerberater oder einer Steuerberaterin solle man sich eng vernetzen. Denn häufig handele es sich bei den Unternehmen in Haubers Beratungen um Personengesellschaften, die auf den Namen des Inhabers oder der Inhaberin laufen. Wenn die Person verstirbt, müsse das geändert werden.