Personalführung in unsicheren Zeiten
Pater Anselm Grün (75) ist Mönch und Bestseller-Autor. Bodo Janssen (46) ist Geschäftsführer der norddeutschen Hotelgruppe Upstalsboom. Kennengelernt haben sich die beiden in einem Führungskräfte-Seminar. Nach einer verheerenden Beurteilung bei einer Mitarbeiterbefragung (ein Mitarbeiter schrieb: „Wir brauchen einen anderen Chef als Bodo Janssen“) flüchtete sich Bodo Janssen ins Würzburger Stadtkloster. Hier belegte er den Kurs „Führen mit Werten“ bei Anselm Grün.
Ein Interview mit Anselm Grün und Bodo Janssen
Der persönliche Austausch mit dem Geistlichen hat bei dem Unternehmer tiefe Spuren hinterlassen: Den „Upstalsboom Weg" nennt Bodo Janssen die besondere Kultur, die er nach diesem Impuls im Jahr 2010 in seinen Hotels etabliert hat. Beim „Upstalsboom Weg“ steht der einzelne Mitarbeitende als Mensch im Zentrum aller Bemühungen – nicht die Gewinnsteigerung des Unternehmens. Jeder Mitarbeitende soll die Chance erhalten, sich innerhalb des Unternehmens weiterzuentwickeln. Teilweise arbeiten die Teams zu diesem Zwecke selbstorganisiert zusammen.
Zum Jahreswechsel 2020/2021 stehen aufgrund der Corona-Pandemie auch die Hotels von Bodo Janssen größtenteils leer. Viele der 600 Mitarbeitenden sind in Kurzarbeit. Anselm Grün spürt in Seminaren und Vorträgen, dass Führungskräfte verunsichert sind: Wie funktioniert gute Führung in kaum planbaren Zeiten? – Im Doppelinterview versuchen Bodo Janssen und Anselm Grün aus ihrer ganz persönlichen Perspektive Antworten zu finden.
Viele Führungskräfte sehen sich während der Pandemie mit völlig neuen Fragen konfrontiert. Wie erleben Sie die aktuelle Zeit?
Pater Anselm Grün: Als Benediktiner-Pater kommen auf mich Menschen mit ganz unterschiedlichen Fragestellungen zu: Bei vielen Führungskräften gibt es die Sorge um das wirtschaftliche Überleben des Betriebs. Andere fragen sich: Wie kann ich Vertrauen haben in meine Mitarbeiter, wenn der Großteil im Homeoffice arbeitet? Und wie kann ich trotz der Distanz, die das Homeoffice schafft, eine menschliche Nähe zeigen, damit der Kontakt zu den Mitarbeitenden eben nicht anonym wird, sondern trotz digitaler Medien Nähe entsteht.
Für den Aufbau von Nähe ist es wichtig, wie wir als Führungskraft mit unseren Mitarbeitenden sprechen. Es reicht nicht, rein sachlich zu reden. Menschen müssen sich gegenseitig spüren.
Was raten Sie zum Aufbau von Vertrauen in Zeiten des Homeoffice?
Pater Anselm Grün: Ich kenne Führungskräfte, die wollen vertrauen, aber unbewusst strahlen sie Misstrauen aus. Aber Menschen merken auch über Distanz, ob der Chef ihnen was zutraut. Ob sein Anruf ein Kontrollanruf ist, oder ob es da auch eine persönliche Ebene gibt. Mein Tipp ist: Bevor ich einen Mitarbeiter anrufe, motiviere ich mich innerlich und sage mir: Ich traue diesem Menschen. Der andere spürt das.
Herr Janssen, der Lockdown betrifft die Hotelbranche in besonderem Maße. Machen Sie sich Sorgen?
Bodo Janssen: Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung geht es uns als Hotelgruppe wirtschaftlich gut. Wir verfügen über Rücklagen und können die Krise meistern. Aber natürlich: Die Krise ist schlecht für‘s Geschäft. Die Hotels sind bis auf Weiteres alle geschlossen.
Wichtig ist aber gerade jetzt, die Möglichkeiten zu erkennen, die wir zu Wirklichkeiten machen können – in der Organisation des Unternehmens, aber auch im Zwischenmenschlichen. Durch das Aussetzen des operativen Geschäfts und durch die soziale Entschleunigung haben die Mitarbeitenden Zeit, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Sie können die Zeit sinnvoll für sich selbst nutzen. Dazu laden wir die Mitarbeitenden ein.
Wie muss ich mir so eine „Einladung“ vorstellen?
Bodo Janssen: Als Unternehmen schaffen wir zum Beispiel Möglichkeiten, sich digital auszutauschen. Für mich ist es als Führungskraft wichtig, trotz Kurzarbeit und Homeoffice weiter ansprechbar für die Menschen zu sein. In unseren Online-Konferenzen fragen wir unsere Mitarbeitenden stets: Was sind deine Impulse? Was sind deine Gedanken? Was sind deine Fragen? – Wir laden jeden Einzelnen ein, sich mit Impulsen, Gedanken und Fragen ins Unternehmen einzubringen.
In meinem Verständnis ist es unsere gemeinsame Aufgabe, die aktuellen Schwierigkeiten zu erkennen und durch die Angst hindurchzugehen. Die Pandemie hat uns alle aufgefordert, schnell zu denken, schnell zu handeln und über uns hinauszuwachsen. Bei uns im Unternehmen funktioniert das.
Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeitenden sich einzubringen?
Bodo Janssen: Menschen müssen erkennen, wofür sie etwas tun. Jeder Mitarbeitende konnte in den letzten Monaten für sich individuell die Frage beantworten: Wofür setze ich mich in dieser Pandemie ein? Sehr vielen war schlagartig klar: Es geht um das Überleben des Unternehmens. Einige Mitarbeitende wachsen über sich hinaus, weil sie gerade ganz viel tun. Andere halten die Situation aus, weil sie durch die Hotelschließungen zur Untätigkeit gezwungen werden. Beide tragen in großem Maße zur Bewältigung der Krise bei. Das sollte man als Chef auch anerkennen. Für die Mitarbeitenden gilt in der Regel: Wer das „Wofür“ kennt, erträgt fast jedes „Wie“.
Wie wichtig ist es für Führungskräfte jetzt den Zusammenhalt im Unternehmen zu stärken?
Pater Anselm Grün: Die Krise bringt manche Sicherheiten zum Einsturz. Immer häufiger stellen sich Menschen die Frage: Worauf kann ich eigentlich bauen? Und da merkt man: Man kann mehr auf Menschen bauen als auf Strukturen. Man kann mehr auf den guten Willen bauen, auf das Vertrauen und auf die Kreativität von Menschen, als auf den bisherigen Aufbau der Firma und auf die bisherigen Gewohnheiten.
Ich denke, es ist für Führungskräfte jetzt eine große Herausforderung, darüber nachzudenken, was das Unternehmen und die Menschen trägt, und wie wir alle miteinander so arbeiten können, dass es Spaß macht.
Ich erlebe bei Führungskräften zurzeit eine große Sehnsucht danach, anders zu führen und Menschen anders anzusprechen. Ich glaube, die Verunsicherung durch die Pandemie hat viele alte Krusten zerbrochen und fordert jeden heraus, nach neuen Wegen zu suchen.
Wie können Chefs mit einem Wandel ihres Führungsverhaltens beginnen?
Pater Anselm Grün: Wichtig ist, bei sich selbst zu beginnen. Ich kann nur andere führen, wenn ich mich selbst gut führe. Ich muss meine eigenen Emotionen beherrschen, um andere zu führen. Führungskräfte sollten sich im Sinne der Selbstfürsorge auch nicht überfordern. Wer nur für die Firma da ist und keinen Ausgleich hat, strahlt unbewusst Aggressionen aus und hat somit keine gute Ausstrahlung auf die Mitarbeitenden.
Voraussetzungen für eine gelungene Selbstführung sind auch Zeiten der Stille, in denen ich mich beobachte und mich frage: Was kommt gerade in mir hoch? Wer bin ich eigentlich? – Während der Corona-Krise ist man ja häufiger allein. Insofern ist gerade jetzt vielleicht eine gute Gelegenheit, um sich selbst auszuhalten und kennenzulernen. Meditation kann dabei helfen. Man kann aber auch spazieren gehen oder Musik hören. Wichtig ist in einen inneren Raum der Stille zu gelangen, in dem die Erwartungen der anderen keinen Zutritt haben. So einen Raum braucht auch ein Chef – und das ist dann auch eine innere Kraftquelle.
Herr Janssen, Sie sagen von sich selbst, dass Sie sich am Konzept der Selbstführung orientieren. Wie ist Ihnen die Umsetzung gelungen?
Bodo Janssen: Als ich 2010 aus dem Führungskräftetraining bei Pater Anselm Grün gekommen bin, habe ich mir die Frage gestellt: Wofür stehe ich jeden Tag auf? – Und meine Antwort war: Ich will Glück empfinden. Letztlich geht es bei der Selbstführung darum, inneren Frieden zu finden. Insofern war das Konzept für mich überaus attraktiv. Gleichzeitig habe ich gemerkt: Ich will nicht nur selbst glücklicher sein – ich möchte auch andere Menschen zu ihrer eigenen Kraft führen und Rahmenbedingungen schaffen, sich ins Unternehmen einzubringen.
Der Sinn unseres Unternehmens besteht heute darin, den Menschen zu stärken. Ich möchte dazu beitragen, dass sich Menschen psychisch, physisch und sozial wohlfühlen – darauf richten wir unsere Prozesse aus.
Viele andere Hotelunternehmen fragen sich: Wie können wir die Digitalisierung voranbringen, um Kosten zu sparen? Unsere Frage ist: Wie können wir die Digitalisierung nutzen, um mehr Zeit für menschliches Wachstum zu haben? Häufig denken wir über die gleichen Sachen nach wie andere Unternehmen, aber das „Wofür“ ist anders.
Wie wird die Pandemie die Arbeitskultur in deutschen Unternehmen Ihrer Meinung nach verändern?
Pater Anselm Grün: Meine Hoffnung ist, dass es in Richtung mehr Solidarität geht. Wir merken in der Krise, dass wir alle abhängig voneinander sind. Wir können uns negativ infizieren, aber wir können uns auch positiv infizieren. Mit welcher Stimmung ich als Chef zurzeit auf die Arbeit gehe, hat nicht nur Auswirkungen auf die Firma, sondern auch für die Menschen dort. Ich hoffe, dass wir den Wert von menschlicher Kommunikation wieder neu schätzen. Kommunikation schafft Gemeinschaft und nur wo Verbundenheit besteht, können neue Lösungen reifen.
Wir danken Anselm Grün und Bodo Janssen für das Gespräch.
Weitere Informationen erhalten Sie hier: