Wissenstransfer zwischen Alt und Jung
Adolf Luck war ein Gelbgießer. Einer, wie es ihn heute nicht mehr gibt. Er wäre vielleicht Metallgießer, der – wie der Gelbgießer – Messing in Formen gießt. Würde er aber seine Gießerei, die er vor bald 120 Jahren in Saarbrücken gegründet hat, heute sehen können, er würde wohl manches vorfinden, wie er es hinterlassen hat. Lesen Sie hier, wie die Martin Luck Metallgießerei den Erfahrungsschatz der Älteren weitergibt.
Die Gießpfanne zum Beispiel, die gerade von einem Gasbrenner mit weißgelber Flamme für die gießfertige Kupferlegierung vorgewärmt wird. Und die Öfen. Wie eine Bühne sind sie in der Gießereihalle aufgebaut, in die je ein Loch eingelassen ist.
Aus einem leuchtet das glühende Metall orange. Über dem Ofen spiegelt der Querbalken des Hallenkrans den Feuerschein wider. Möglicherweise hat auch Adolf Luck ihn als Indikator für den Zeitpunkt genutzt, an dem das Metall bereit für den Guss ist. So wie Siegfried Ruser oder Mecki, wie er von allen genannt wird, es Jahrzehnte lang getan hat.
Was ein Sonnenaufgang mit der Gießtemperatur zu tun hat
„Als ich die Firma von meinem Vater übernommen habe, wollte ich wissen, wie in den Werkshallen gearbeitet wird“, sagt Ursula Kilburg, Vertreterin der fünften Inhabergeneration der Firma Martin Luck Metallgießerei. Also hat sie zwei Wochen in der Gießerei mitgearbeitet. „Ich habe unter anderem gefragt, wie die Gießer eigentlich wussten, wann das Metall die richtige Temperatur hat, als es die Temperaturmesslanze noch nicht gab“, sagt die Quereinsteigerin Kilburg. „Mecki antwortete, dass ich an den Stahlbalken des Krans gucken muss. Wenn der Feuerschein, der sich darin spiegelt, die Farbe eines Sonnenaufgangs hat, ,dann ischt fertig‘.“ Spätestens da war ihr klar, welchen Wissensschatz sie in ihrem Unternehmen hat.
Der Blick aus ihrem Bürofenster fällt auf den Eingang zu den Werkhallen auf der anderen Seite des geschotterten Innenhofs. Es regnet leicht, ein Eichhörnchen flitzt den dicken Stamm einer Kastanie hinauf. Hinter ihren Zweigen sind die Metallbuchstaben über dem Werkseingang zu erkennen: „Metallgießerei M. Luck G.m.b.H. gegr. 1894“ steht dort, eingerahmt vom Handwerkszeichen mit Eichenblatt und Hammer und dem Zunftzeichen der Gießer mit Gießlöffeln, Meißel und Hammer.
Eine Sonderanfertigung. Solche macht Ruser drinnen, in der Gießerei, schon seit vier Inhabergenerationen bei Luck. Er ist 78 Jahre alt. 63 Jahre seines Arbeitslebens hat er in der kleinen Gießerei inmitten des Saarbrückener Wohnviertels Malstatt verbracht, die sich als eine der wenigen Gießereien auf Buntmetall wie Bronzelegierungen spezialisiert hat. Zunächst wurde sowohl für die Industrie als auch für die vor allem im Saarland ansässige Kunstszene gegossen. Seit den 70er-Jahren produziert Luck hauptsächlich für die Industrie.
Rentner sind da, wenn die Gießerei ihre Erfahrung braucht
Ruser hat bei Luck gelernt, Former hieß sein Ausbildungsberuf damals. Heute ist er der einzige in der Firma, der den Sandformguss als Handwerk im Wortsinn beherrscht und immer noch für die Künstler da ist. „Das Handformen ist regelrecht mein Hobby“, sagt er. Wie die beiden weiteren Ruheständler, der 70-jährige Detlev Deutsch und der 73-jährige Hermann Habenicht, kommt Ruser oder Mecki, wenn Kilburg ihn braucht – mal zwei Wochen am Stück, manchmal nur ein, oder zwei Tage. „Im Sommer komme ich eigentlich nur bei Not am Mann“, sagt Deutsch, der auch eine Jugendfußballmannschaft trainiert und Bademeister im Freibad ist. Habenicht fährt auch schon mal quer durch die Republik zu Kunden. „Das macht mir nichts aus.“
Während Deutsch und Habenicht in der Dreherei von den Schleuderguss-Rohlingen „die Gusshaut runterschrubben“, wie Kilburg sagt, bereitet Ruser in der Gießerei eine Sandform für den Abguss vor. Wo später das flüssige Metall hineingegossen werden soll, hat er das Gemisch aus Quarzsand, Binder und Härter mit Holz- und Styroporformen vorgeformt. Ruser geht in die Knie, um die letzten Styroporteile zu entfernen. Er zeigt auf die Speiser, röhrenförmige Ausstülpungen auf der anderen Seite des Gusskastens, die sich beim Guss mit Metall füllen: „Wenn das Metall abkühlt und sich zusammenzieht können Hohlräume im Gussteil entstehen. Das Metall rückt aus den Speisern nach und füllt sie auf.“
„Ich tue mich sehr schwer damit, jemandem, der sehr lange hier war, sein Wissen eingebracht hat und die Qualität bietet, die die Firma braucht, zu sagen: So, jetzt ist offiziell Rente und damit Schluss bei Luck. Zum Glück wollten die meisten dies bisher auch gar nicht. Von den Jüngeren lernen wir dagegen, am Puls der Zeit zu bleiben – zum Beispiel, als wir unsere Internetseite neu gestaltet haben.“
Ursula Kilburg, GeschäftsführerinGießereifibel bewahrt das Wissen der Älteren
Es ist dieses Wissen, das Kilburg im Unternehmen halten möchte. Das funktioniert bei der täglichen Arbeit am Produkt. Deutsch gibt ein Beispiel: „Wenn ich ein Stück aus der Gießerei bekomme und ich sehe, es ist schlecht, weil zum Beispiel noch zu viel Dreck darauf ist, sage ich dem Gießer, dass das so nicht geht.“ Beim nächsten Mal schickt der Gießer das Gussstück erst nach gründlicherer Vorbearbeitung in die Dreherei, und die Nachbearbeitung bleibt im zeitlichen Rahmen.
Der Wissenstransfer läuft aber auch über eine „Wissensfibel“. Die Grundlage haben der gelernte Gießereitechniker und Produktionsleiter Jens Reuß und die frühere Werksstudentin Ines Blatter gelegt. Blatter hat von Ruser die Grundlagen des Sandformgießens gelernt, für Reuß war Ruser Lehrmeister für besondere Kniffe und spezielle Prozesse. Seitdem wird die Wissensfibel von den Mitarbeitern immer wieder ergänzt und genutzt, wenn die erfahrenen Mitarbeiter nicht im Betrieb sind. In der Fibel steht etwa, wie die Induktionstiegelöfen bedient werden und dass sie sich durch „starke Badbewegungen“ auszeichnen. Das sind Wirbelströme, die das von einer Kupferspule durch Wechselstrom erzeugte elektromagnetische Feld auslöst. Der „Herstellung eines Gussstücks mittels Holzmodell“, dem, was Ruser heute getan hat, ist ein ganzes, auf seinem Wissen basierendes Kapitel gewidmet.
Neben dem Guss von Sockelelementen für Maschinen hat der Former heute die Gussform für zwei Büsten vorbereitet. Der Kunde, ein Künstler, hat ihm Wachsmodelle der Büsten als Vorlage gegeben. „Das war noch mal eine Herausforderung, dass man das so hinkriegt“, sagt Ruser. Er macht alles in Handarbeit. Weil er es so gelernt hat. Aber vor allem, weil es seine Leidenschaft ist – je komplizierter die Form, je lieber.
Einfach jemanden einstellen geht nicht
Von den gut 20 Mitarbeitern bei Luck sind die meisten schon länger im Betrieb, besonders in der Gießerei und Dreherei. Ursula Kilburg ist froh, dass sie zurzeit niemand Neuen suchen muss. „Viele sind heutzutage durch die neuen Lehrberufe für unsere Anforderungen quasi ,falsch‘ qualifiziert“, sagt sie. Statt der konventionellen Dreher und Fräser gebe es beispielsweise Zerspanungsmechaniker oder –techniker. „Das meiste, was die gelernt haben, können wir hier gar nicht brauchen. Wie man aber an einer handbetriebenen Drehmaschine arbeitet, wie wir sie noch einsetzen, wissen die Jungen gar nicht mehr.“ Auch wenn sie noch keinen Fachkräftemangel spürt: „Wenn in der Dreherei jemand ausfällt, habe ich ein Problem. Dann kann ich nicht einfach einen einstellen, der auf den Knopf drückt. Es muss einer sein, der Metall lebt.“
In der Dreherei sind zwei der fünf Drehbänke besetzt. Die Dreher verpassen den Buchsen-Rohlingen aus der Gießerei den ersten Schliff, bevor sie in die Dreherei kommen. Sie spannen die Teile ein, setzen das Werkzeug in die richtige Position, drehen und messen immer wieder, bis der Durchmesser stimmt und die Oberfläche sauber ist. Als Deutsch und Habenicht ihre Drehbänke besetzen, lächelt Kilburg. „Wir haben an zwei Drehbänken 143 Jahre versammelt.“ Auch Deutsch und Habenicht haben mehrere Jahrzehnte lang bei Luck gearbeitet – Deutsch als ausgebildeter Dreher, Habenicht, gelernter Bergmann, hat „alles von ihm gelernt“, wie er mit Blick auf Deutsch sagt. Heute lernen die Jüngeren auch von ihm.
Für Habenicht ist die Antwort auf die Frage, warum er immer noch in den Betrieb kommt, ganz einfach: „Mir macht die Arbeit Spaß.“ Spaß macht es Ruser auch, sein Wissen weiterzugeben – vor allem, wenn die Jungen so interessiert sind wie die Studentin Blatter. „Die Ines hat zugeguckt, wie ich das Modell zwei Mal geformt habe, und hat gesagt ,Lass mich mal probieren‘. Dann hat sie das gemacht, ohne dass ich eingreifen musste.“ Für Deutsch ist es ganz selbstverständlich, sein Wissen weiterzugeben: „Wenn jüngere Dreher hier sind, guckt man natürlich drüber und sagt ,Mach es doch mal so“, gibt also die Erfahrung weiter.“ Meistens, sagt er, hören sie auf ihn.